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Interview mit Kai-Uwe Bergmann. Wie gelingt Innenverdichtung?

Die Städte von heute sind im Wandel. Sie müssen immer neuen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden. Erfolg haben städtebauliche Projekte, wenn die Bevölkerung in die Prozesse miteinbezogen wird und die neuen Gebäude der Stadt einen spürbaren Mehrwert bringen.

Kai-Uwe Bergmann ist Partner bei Bjarke Ingels Group und Referent am diesjährigen Nachhaltigkeitsforum der Zug Estates.

Philipp Hodel

19. August 2023

Interview und Text: Philipp Hodel

Wie hat sich die Funktion von Gebäuden im städtischen Kontext geändert?

Kai-Uwe Bergmann: Der öffentliche städtische Raum mit seinen Plätzen, Gehwegen oder Parks wurde in den letzten Jahren unheimlich wichtig. In unseren Projekten versuchen wir, den Aussenraum in die Gebäude zu führen, und planen, wenn immer möglich, mit Dachterrassen und Balkonen. Ein aktuelles Beispiel ist «The Spiral» in New York: Auf jedem der 66 Stockwerke gibt es eine Aussenterrasse. Es ist in New York das erste Gebäude dieser Art. Das Konzept ist auch ökonomisch erfolgreich. Seit COVID stehen in der Stadt rund 50 Prozent aller Büroflächen leer – dahingegen sind es im «The Spiral» nur 20 Prozent.

Wie haben sich die Aufgaben der Architekten und Städtebauer gewandelt?

Die Städte sind im ständigen Wandel. Es gibt ökologische, soziale und ökonomische Bewegungen, dazu zählt in vielen Städten die Immigration. Im Gegensatz zu früher gilt es heute, viel mehr Dimensionen zu berücksichtigen. Dadurch hat die Komplexität zugenommen. Architekten und Planer müssen die vorherrschenden Mechanismen und Vorgänge bis ins Detail verstehen.

Welches sind die gesellschaftlichen Anforderungen an die heutige Architektur?

Die grösste Anforderung ist der Klimawandel, der in der Gesellschaft angekommen ist. Bis 2050 werden 70 Prozent aller Menschen in Städten leben. Damit wächst die Verantwortung der Städte hinsichtlich der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft. Und eines ist klar: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Die Welt verbraucht 4-mal mehr Ressourcen, als der Planet zur Verfügung stellen kann. Wir leben auf Pump und auf Kosten der nachfolgenden Generationen. Die Architekten haben die Aufgabe, Lösungswege aufzuzeigen, mit denen der Ressourcenverbrauch reduziert werden kann. Zudem müssen sie sich überlegen, was mit den Gebäuden in 50 oder 100 Jahren passieren soll.

In einem Ihrer Interviews sprechen sie von «Hedonistic Sustainability», sprich dem Ansatz, die Lebensqualität durch einen intelligenten Einsatz von Ressourcen zu erhöhen. Können Sie das Prinzip etwas genauer erklären?

Mit Nachhaltigkeit verbinden wir gedanklich sofort Themen wie weniger fliegen und reisen, kalt duschen, kältere Wohnung oder kleinere Fenster. Einschränkungen, die zu einer sinkenden Lebensqualität führen, sind für BIG kein zielführender Weg, da diese von einem Grossteil der Gesellschaft nicht akzeptiert werden. Die Mehrheit will Fortschritt. Wir sind der Meinung, dass die Sonne der Erde genug Energie liefert. Wir müssen sie nur richtig einsetzen. Gebäude leisten hier einen wichtigen Beitrag zum Beispiel über Solarkollektoren, klimaneutrale Heizsysteme, Grünräume zur Hitzereduktion etc.

Innerstädtische Verdichtung wird von der Bevölkerung nicht nur als positiv wahrgenommen. Welchen Nutzen oder Mehrwert muss die Architektur erbringen, um die Bevölkerung zu überzeugen?

Dazu nenne ich zwei Beispiele. Das erste ist Barcelona, eine Stadt mit einem dichten und komplexen Strassennetz. Die Behörden planen, 50 Prozent dieser Strassen begeh- statt befahrbar zu machen. Dazu fördert die Stadtverwaltung Immobilienprojekte und -konzepte, die es ermöglichen, im gleichen Gebäude zu arbeiten, zu spielen, einzukaufen und zu wohnen. Das zweite Beispiel ist Singapur. Die südostasiatische Grossstadt versucht, Grün in die Innenstadt zu bringen. Viele der Wolkenkratzer sehen aus wie ein Dschungel. Die Pflanzen reinigen die Luft, und über die Verdunstung sinkt an den Gebäuden und auf begrünten Aussenflächen die Temperatur um 3–5 Grad. Hier wird die Stadt zu einem Ökosystem, das von der Bevölkerung geschätzt wird. Die beiden Beispiele haben etwas gemeinsam: Die zwei Städte haben eine städtebauliche Vision, die ein vorherrschendes Problem löst und die Lebensqualität verbessert. Dies schafft eine breite Akzeptanz.

Ein heute gängiges Mittel ist es auch, die Bevölkerung miteinzubeziehen, um die Akzeptanz von Projekten zu fördern. Wie stehen Sie dazu?

Richtig, das ist das A und O bei Projekten. Beim Superkilen Park in Kopenhagen haben wir die Bevölkerung nach ihren Wünschen gefragt und über 1000 Rückmeldungen erhalten. Die besten und häufigsten Ideen haben wir übernommen. Der Park ist sozusagen aus der Bevölkerung entstanden – von Menschen für Menschen. Entscheidend ist, dass die Bevölkerung sieht, wie ihre Ideen in das Projekt einfliessen. Der Park ist eine absolute Bereicherung für Kopenhagen und wäre ohne die vielen Inputs nie so geworden, wie er heute ist.

Kopenhagen ist die Welthauptstadt der Architektur 2023. Was läuft in dieser Stadt anders?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir in die 1980er-Jahre zurückblicken. Der Preis für Öl war damals enorm hoch und die Dänen waren abhängig von dieser Energiequelle. Das ging so weit, dass das Land beinahe in die Zahlungsunfähigkeit schlitterte. Dänemark erging es damals so, wie Griechenland im Jahr 2010. Die Politik hat daraufhin eingegriffen und stellte die Menschen über das Auto. Es wurden Steuern von 200 Prozent auf Fahrzeuge eingeführt; das so eingenommene Geld investierte man in Radwege und Windenergie. Nach 20 bis 30 Jahren hat die Bevölkerung nun komplett auf den nachhaltigen Weg umgestellt. Heute nutzt 70 Prozent der Bevölkerung Fahrräder für ihren Arbeitsweg – international sind es 15 Prozent – und bis 2025 will Kopenhagen klimaneutral sein. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass die Leute dank mehr Bewegung gesünder sind. Dieser Kraftakt hat zu einer Mentalitätsumstellung geführt. Es herrscht ein starker Wille, etwas zu verändern und auszuprobieren, was auch in der Architektur sichtbar wird. Wir nennen das «urban prototyping». Man kann in Dänemark in kurzer Zeit Konzepte ausprobieren und einführen, da die Hürden klein sind und ein Scheitern nicht als negativ betrachtet wird.

Haben Sie ein Lieblingsprojekt?

(lacht) Das kann ich so nicht beantworten. Eine Mutter sagt ja auch nicht, welches ihrer Kinder sie am liebsten hat. Aber so viel kann ich verraten: Mir gefallen Konzepte, die Innen- und Aussenraum, Landschaft und Stadtleben verbinden. Wenn Architektur der Bevölkerung etwas bringt und diese mit ihr zusammenlebt, dann freue ich mich darüber.

Der Interviewpartner

Kai-Uwe Bergmann (54) ist Teilhaber des Büros BIG – Bjarke Ingels Group, Kopenhagen/New York. Nach seinem Architekturstudium an der University of Virginia und der University of California arbeitete er als Projektarchitekt bei Weinstein AU Architects in Seattle, Baumschlager Eberle in Lochau und C.F. Møller Architects in Kopenhagen, bis er 2006 Partner bei BIG wurde. Bergmann ist bei BIG derzeit für die internationale Geschäftsentwicklung im Raum Europa, Nordamerika und Asien zuständig.

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