Veränderung muss Teil des Gestaltungskonzepts sein

Jonas Frei kennt als Landschaftsarchitekt und Stadtökologe die Voraussetzungen und Massnahmen für eine artenreiche Umwelt.

Philipp Hodel

20. August 2022

Was ist die Grundvoraussetzung für eine artenreiche Umwelt?

Es braucht eine Vielzahl unterschiedlicher Flächen. Gemeint sind: hohe und geschnittene Wiesen, trockene und nasse Böden, sonnige und schattige Plätze. Viele kleine, unterschiedliche Lebensräume sind hierbei am wertvollsten.

Viele Menschen träumen von einem ganzjährig frisch geschnittenen Rasen. Woher kommt diese Einstellung?

Für die Biodiversität sind traditionelle Blumenwiesen, welche zwei Mal im Jahr geschnitten werden, um ein Vielfaches wertvoller als die regelmässige Bearbeitung von Grünflächen mit dem Mäher. Die Gründe, weshalb so oft geschnitten wird, sind vielfältig. Zum einen liegt es an der Ästhetik: Ein tiefer Rasen wirkt aufgeräumt. Zum anderen werden Wiesen in Quartieren gerne auch für Freizeitaktivitäten genutzt. Nicht zuletzt fehlt es auch heute noch oft am Wissen um die Notwendigkeit von wilden Flächen.

Landschaftsarchitekten gestalten ganze Quartiere oder Areale. Welchen Ratschlag würden Sie ihnen mit auf den Weg geben?

In der Tendenz gestalten Landschaftsarchitekten eine Umgebung, die auch in Zukunft immer gleich aussehen soll. Biodiversität erreicht man damit jedoch nur schwer. Konzepte müssen mit der Spontanität der Natur zurechtkommen. Ihre Launen sind nicht planbar. Daher muss die Veränderung Teil des Gestaltungskonzepts sein.

Die Dachflächen sollen heutzutage verschiedenste Funktionen erfüllen. Begrünt sollen sie sein, über Photovoltaikanlagen Strom produzieren können und gleichzeitig noch den Mietern zur Verfügung stehen. Bringt man diese Wünsche in Einklang?

Bereits heute zeigen einige gute Projekte, dass ein Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Nutzungen möglich ist. Durch Photovoltaikanlagen entstehen an sonnenexponierten Lagen plötzlich trockene und schattige Standorte. Wie am Anfang erwähnt: Eine grosse Vielfalt fördert die Biodiversität. Zudem reduzieren Pflanzen durch ihre Verdunstungsleistung die Umgebungstemperatur, was die Leistung der Solaranlage im Sommer erhöht.

Stimmt die Aussage: Je mehr Pflanzenarten, desto wertvoller ist eine Fläche?

Das ist im Grundsatz sicher richtig. Weitere Messgrössen können die Anzahl Pflanzenarten auf einer roten Liste der bedrohten Pflanzen sein oder die Veränderung der Anzahl Pflanzen über einen definierten Zeitraum. Allerdings können viele Vorteile, wie beispielsweise das Wohlbefinden in einer grünen Umgebung, nicht durch Zahlen abgebildet werden. Ein Beispiel: Die Allee aus Linden zwischen dem Parkhotel Zug und der Einkaufs-Allee Metalli kühlt die Strasse merklich ab. Hier erreicht eine einzelne Pflanzenart einen grossen Effekt.

Kühlung ist ein wichtiges Stichwort. Nicht nur in der Metalli gibt es wenig Möglichkeiten für grosse, schattenspendende Bäume, da es aufgrund der Tiefgarage zu wenig Substrat gibt. Sehen Sie andere Möglichkeiten?

Ja, diese gibt es durchaus. Schlingpflanzen benötigen beispielsweise nur wenig Erde und können eine Alternative zu Bäumen sein. An die Kühlleistung von grossen, ausgewachsenen Bäumen kommen sie aber nicht heran. Einziger Wehrmutstropfen ist, dass es nur wenige einheimische Arten von Schlingpflanzen gibt.

Sie stossen damit eine wichtige Grundsatzdiskussion an. Was ist Ihr Standpunkt zum Thema einheimische versus standortgerechte Pflanzen?

Grundsätzlich finde ich es schade, wenn man sich in der Auswahl der Pflanzen zu stark eingrenzt. Als Basis für eine hohe Biodiversität würde ich wo immer möglich viele unterschiedliche einheimische Pflanzen setzen. An gewissen Plätzen können auch standortgerechte Pflanzen, die nicht einheimisch sind, gepflanzt werden. An einem Ort wie der Metalli lassen sich nicht einheimische Arten kaum vermeiden. Aber auch diese können, vorausgesetzt sie sind sorgfältig evaluiert und kombiniert, gewinnbringend für Flora und Fauna sein.

Kehren Pflanzen und Tiere in die Städte zurück, wenn die Flächen vorbereitet werden?

Aufgrund meiner vielen Beobachtungen kann ich das klar bejahen. Vor allem fliegende Insekten finden sehr schnell wieder zurück. Ich habe schon auf einem extensiv begrünten Flachdach im 6. Stock Schnecken angetroffen. Da habe ich mich auch gefragt, wie diese es so weit nach oben geschafft haben. Es ist unglaublich, was sich alles in kürzester Zeit wieder einfindet.

Eine letzte Frage: Welche Chancen bietet das Projekt Lebensraum Metalli für das Thema Biodiversität?

Die frühe Integration des Themas ins Gesamtkonzept des Lebensraum Metalli erlaubt es, sich gründlich damit zu befassen. Denn: Allzu oft wird die Biodiversität erst kurz vor dem Bauabschluss thematisiert – selten mit guten Lösungen. Wenn der Lebensraum Metalli die geplanten Dach-, Wiesen- und repräsentativen Flächen gezielt entwickeln kann, sehe ich Potenzial für ein Projekt mit Pioniercharakter.

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